Klassifizierung epileptischer Anfälle

Ein epileptischer Anfall ist zunächst einfach nur ein Symptom von einer exzessiven und/oder hypersynchronen elektrischen Aktivität im Großhirn und Thalamus des Hundes. Diese Aktivität beginnt plötzlich und lässt ebenso plötzlich nach und sie kann sich wiederholen.


Der unmittelbare Auslöser eines epileptischen Anfalls kann jeder erregende, stimulierende (exzitatorisch) oder hemmende (inhibitorisch) Einfluss auf Neuronen und deren Umgebung im cerebralen Kortex und im Thalamus sein.

Ganz grob unterscheidet man drei Formen epileptischer Anfälle: den generalisierten Anfall, den fokalen Anfall und nicht klassifizierbaren epileptischen Anfällen. Diese drei Formen epileptischer Anfälle können weiter unterteilt werden.

Der generalisierte Anfall

Beim generalisierten Anfall sind beide Großhirnhemisphären betroffen, das bedeutet, ein generalisierter Anfall wird ausgelöst durch eine nicht normale elektrische Aktivität in der gesamten Gehirnrinde. Im EEG zeigen sich beim generalisierten Anfall epileptiforme Entladungen in allen Hirnregionen gleichzeitig. Beim generalisierte Anfall ist der Hund immer bewusstseinsgetrübt oder bewusstlos. Zu den generalisierten Anfällen gehören folgende Anfälle:

  • Absencen
    Eine Absence ist eine besondere Anfallsform, die ausschließlich aus einer Bewusstseinspause besteht. Damit bilden sie die mildeste Form der generalisierten Anfälle. Bei einer einfachen Absence ist der Blick starr und leer und die Gesichtszüge ausdruckslos. Der Hund reagiert nicht auf Ansprache. Sie kann einige Sekunden bis zu einer halben Minute andauern. Die Absence unterbicht die gerade durchgeführte Tätigkeit und nimmt sie danach wieder auf. Eine Absence kann zusätzlich von einer milden klonischen Komponente begleitet sein wie beidseitige Zuckungen im Bereich des Gesichts oder der Glieder. Oder es kann zu einer Abnahme in der Grundspannung  in der Muskulatur des Körpers kommen (atonische Komponente). Bei einer tonischen Komponente kommt es zu einer Anspannung der Körpermuskulatur, zum Beispiel kann der Kopf zurückgezogen werden.
  • myoklonische Anfälle
    Myoklonien sind Muskelzuckungen, die bei myoklonischen Anfällen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Die Muskelzuckungen können den Kopf oder die Gliedmaßen betreffen bis bin zu einem Einknicken der Beine. Die myoklonischen Anfälle sind meist sehr kurz und das Bewusstsein ist dabei nicht beeinträchtigt. Sie können aber in Serie auftreten.
  • klonische Anfälle
    "klonisch" bedeutet ruckartig, klonische Anfälle sind also ruckartige Zuckungen. Sie dauern meist nur kurz an.
  • tonische Anfälle
    Tonische Anfälle betreffen die Muskelspannung und bedeuten, dass sich die Muskulatur im Krampf versteift. Bei tonischen Anfällen kann es durch die Verkrampfung der Bauch- und Brustmuskulatur zu einem gepressten Schrei kommen.
  • klonisch-tonische Anfälle oder "Grand Mal"-Anfälle
    Sie sind die häufigsten generalisierten Anfälle. Sie beginnen üblicherweise mit einer tonischen Phase, das heißt einer Versteifung des gesamten Körpers, die bis zu 30 Sekunden anhält. Auf die tonische Phase folgt die klonische Phase mit symmetrischen Zukungen vor allem des Kopfes sowie der Gliedmaßen. Die klonische Phase dauert etwa 40-60 Sekunden. Der Anfall begint meist mit Atemstillstand, später eine verlangsamte und erschwerte Atmung. Es wird schaumiger Speichel abgesetzt. Der Anfall verläuft in tiefer Bewusstlosigkeit und geht in einen tiefen Nachschlaf über, der bei manchen nur sehr kurz anhält, bei anderen Stunden dauern kann. Bei einem sehr kurzen Nachschlaf kann es zu einer Bewegungsunruhe kommen, dem Drang, ziellos davonzulaufen und ggf. das Nicht-Erkennen von Orten und Personen.
  • atonische (astatische) Anfälle
    Beim atonischen Anfall ist die Haltemuskulatur des Körpers betroffen. Es kommt zu einem Absacken zum Beispiel des Unterkiefers oder des Kopfes, es kann aber auch bis zum in-sich-Zusammensacken führen.

Der fokale Anfall

Ein fokaler oder partieller Anfall betrifft nur eine Großhirnhemisphäre. Ein fokaler Anfall wird ausgelöst durch eine nicht normale elektrische Aktivität in einem umschriebenen Gebiet der Großhirnrinde, die man im EEG nachweisen kann. Bei den einfach fokalen Anfällen bleibt das Bewusstsein erhalten, bei den komplex fokalen Anfällen kommt es zu einer Bewusstseinstrübung, der Hund reagiert zum Beispiel nicht auf Ansprache oder Handzeichen.

 

Ein einfacher fokaler Anfall geht von einem ganz eng umschriebenen Gebiet im Gehirn aus. Der Hund ist dabei bei Bewusstsein und könnte er sprechen, könnte er uns sagen, was passiert ist. Beispiele für einfach fokale Anfälle können lokalisierten motorischen Krämpfe sein, zum Beispiel Zuckungen in einer Gesichtshälfte oder der Gliedmaßen. Einfach fokale Anfälle können auch Sinneswahrnehmungen sein oder es kann ein Schwindelgefühl auftreten. Solche Sinneswahrnehmungen, die uns der Hund, könnte er sprechen, vermutlich gar nicht genau beschreiben könnte, bezeichnen auch die Aura, die oft einem generalisierten Anfall vorausgeht.

 

Ein komplex fokaler Anfall führt zu Bewusstseinsstörungen von einer leichten Benommenheit bis zur Bewusstlosigkeit. Das kann dazu führen, dass sie sich gegen eine Störung von Außen wehren - beim Hund kann das zu aggressiven Abwehrverhalten führen. Bei einem komplex fokalen Anfall kommt es zu sensorischen und autonomen Erscheinungen, zum Beispiel Speicheln, Mydriasis (ein- oder beidseitige Weitstellung der Pupillen), Vokalisieren, Halluzinationen - gerade die Halluzinationen können beim Hund beispielsweise zu Panik und wilder Flucht führen. Die Automatismen können Schmecken, Schmatzen, Schlucken und Kauen sein. Komplex fokale Anfälle können zu Wanderungen führen: Der Hund läuft wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben durch die Gegend. Die Wahrnehmungsstörungen können dazu führen, dass er Gegenstände (oder Wände), die im Weg stehen, nicht wahrnimmt.

 

Fokale Anfälle können sich zu generalisierten Anfällen entwickeln, diesen also vorausgehen. Ebenso kann ein einfacher fokaler Anfall einem komplexen fokalen Anfall vorausgehen.

Sonderformen epileptischer Anfälle

Folgende Sonderformen epileptischer Anfälle werden unterschieden:

  • Cluster (auch: Serie, Anfallshäufung): Bezeichnet mehr als einen oder zwei voneinander abgrenzbare Anfälle innerhalb von 24 Stunden; dabei ist es egal, ob es generalisierte, fokale oder unklassifizierte Anfälle sind. "voneinander abgrenzbar" bedeutet, dass es zwischen den Anfällen zu einem Wiedererlangen des Bewusstseins kommt.
  • Status epilepticus: Im Status befindet sich das Gehirn über einen bestimmten Zeitraum (Dauer ist unterschiedlich definiert) in Dauererregung.

Unklassifizierte und pseudoepileptische Anfälle

Unklassifizierte Anfälle lassen sich nicht eindeutig einem fokalen oder generalisierten Anfall zuordnen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass die Beschreibung zu ungenau ist.


Pseudoepileptische Anfälle sind nichtepileptische, psychogene Anfälle, die aussehen können wie ein epileptischer Anfall. Die Abgrenzung ist unter Umständen sehr schwierig sein und nur im EEG eindeutig nachweisbar sein. Ein peudoepileptischer Anfall zeigt keine elektrischen Entladungen im EEG.

Stadien eines epileptischen Anfalls

Ein epileptischer Anfall durchläuft folgende Stadien:

  1. Promodralstadium
    Dauer: Minuten bis Tage
    In diesem Stadium zeigt der Hund Unruhe, Angst, Unsicherheit, Nervosität oder auch Aggression. Es kommt zu Momenten, in denen er ins Leere starrt oder übermäßige Schnüffelt. Auch sonst unübliches Vokalisieren kann in diesem Stadium vorkommen. Allerdings kann es sein, dass die Anzeichen kaum wahrnehmbar sind, das Promodralstadium also nicht zu erkennen ist.
  2. Aura
    Dauer: wenige Sekunden
    Bei einer Aura ist im EEG eine abnormale elektrische Aktivität im Gehirn messbar. Sichtbare Anzeichen der Aura können sein Erbrechen, veränderte Pupillen oder motorische oder psychische Ausfälle.
  3. Iktus
    Dauer: wenige Sekunden bis 5 Minuten
    Der Iktus ist der eigentliche Anfall, der sich durch eine ganze Reihe von Anzeichen zeigt, je nachdem, ob es ein fokaler oder generalisierter Anfall ist. Beispiele sind: Muskelzucken, Tremor (Zittern, ein unwillkürliches, sich rhythmisch wiederholendes Zusammenziehen einander entgegenwirkender Muskelgruppen), Krämpfe, Kieferschlagen, Ophistotonus (Krampf in vor allem der Streckmuskulatur des Rückens), Ataxie (Störung der Bewegungskoordination), Fliegenschnappen, abnormales oder permanentes Vokalisieren, Speicheln, unkontrollierter Harn- und Kotabsatz, Pupillenveränderung, Desorientierung, Bewusstseinsverlust.
  4. Postiktale Phase
    Dauer: mehrere Minuten bis Tage
    Anzeichen der postiktalen Phase kann eine nur vorübergehend andauernde, zentrale Blindheit und/oder Taubheit sein, sowie Aggressivität, Desorientierung, vermehrter Durst oder Appetit, Müdigkeit, Erregung, abnormales Vokalisieren, Drangwandern und Ataxie.

Die jeweilig aufgeführten Anzeichen können, müssen aber nicht in jedem Fall komplett auftreten. Meist zeigen Hunde nur einen Teil dieser Anzeichen.