Das Elend mit der Medizin

Auf dem Gang gestern sprach mich jemand an: "Das ist ja schön, er ist ja langsam, aber er geht doch tapfer Schritt für Schritt mit. Wie alt ist er denn?" Die Frage kenne ich, ich habe sie in den letzten Wochen zigfach zu hören bekommen. Auf meine Antwort "3 Jahre." ist auch die Reaktion immer dieselbe: Der Mund steht offen, sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Ich auch nicht.


"Er ist krank.", sage ich dann, "Er bekommt Medizin, die macht ihn müde." "Das tut mir leid. Was hat er denn?" "Epilepsie." Und dann, überraschenderweise, kommt fast immer eine der folgenden Antworten:

  • Oh je, das kenne ich, mein verstorbener Hund hatte das auch.
  • Oh je, ich kenne auch einen Hund, der das hat.
  • Jemand in der Familie (oder der Mensch selbst) hatte auch schon einmal einen oder mehrere Anfälle.

Am meisten berührt hat mich die Dame, die sah, wie Sam nicht aufstehen wollte. Er war müde und die Hinterhand schwach. So kamen wir ins Gespräch, das ablief wie oben beschrieben. Ihre Antwort war "Meine Schäferhündin hatte das auch. Sie ist mit vier Jahren daran gestorben." und man hörte und spürte den Schmerz, der noch immer da war. Dennoch erkundigte sie sich nach Sam, erzählte ihre Geschichte mit Tränen in den Augen. Und Sam stand dann schließlich auf und wir gingen weiter und sie wünschte Sam von Herzen alles Gute und dass wir noch einen Weg finden.


Aber ich schweife ab, darum geht es mir in diesem Artikel ja gar nicht, das ist ein Thema für sich. Hier soll es um den Grund für Sams Müdigkeit gehen: Das neue Medikament. Seit drei Wochen bekommt er Libromide (Kaliumbromid). Ich habe mich so lange dagegen gesperrt und schließlich zugestimmt, es zu versuchen. Seit drei Wochen bekommt er Morgens und Abends eine kleine, unscheinbare Tablette ins Futter. Ich musste die Futterzeiten umstellen, denn zu Beginn gab ich sie ihm nur mit wenig Futter und er hatte sofort Magenprobleme. Jetzt geht es besser. Meistens. Aber er mutiert immer mehr zu dem Hund in Loriots "Pappa ante Portas". Sein Gang ist wie der eines Zombies, abgehakt, unrund, und er läuft oft wie auf Eierschalen. Wenn wir stehenbleiben, legt er sich hin und nicht immer will er dann wieder aufstehen.


Er ist drei Jahre alt. Seine Geschwister toben wie die Wilden. Sam ... er nimmt noch nicht einmal mehr Anteil an den Tobereien. Vorher stand er wenigstens da und verfolgte die wilden Jagden und rannte manchmal ein paar Meter mit. Jetzt legt er sich hin, froh über die Pause. Es bricht mir das Herz.


Eine Serie hatte er letzte Woche. Eine schlimme, immer und immer wieder rannte er panisch durch die Wohnung. Ich weiß, das ist zu früh, so schnell sprechen die Libromide nicht an, aber selbst wenn die Anfälle weniger werden sollten - ist das ein Preis, den man zu zahlen bereit ist? Was ist schlimmer für den Hund? Und was ist einfach nur schlimmer für mich und damit eigentlich nicht relevant? Wie  soll ich das wissen und wann erkläre ich das Experiment für beendet und vor allem: Was mache ich dann?


Die Meinung der Ärzte kenne ich. Sie ist für mich nicht akzeptabel, denn ich habe einen gesunden, jungen Hund, der viel Lebensfreude hat, wenn man es ihm ermöglicht. Nur ist er eben ab und an in den Fängen eines Monsters. Davon erholt er sich aber schneller als ich. Und doch kann jeder Anfall der letzte sein, das ist mir schon bewusst, aber ist es nicht gerade darum umso wichtiger, ihm die Zeit, die er hat, so "lebendig" wie möglich zu verbringen?


So gehe ich mit allen Hoffnungen, Zweifeln und Überlegungen in die Woche 4. Wenn sich nichts bessert, muss ich eine Entscheidung treffen. So geht es nicht weiter.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0